
Altersweisheit oder späte Einsicht? Otto Schily fordert Ende der politischen Ausgrenzung der AfD
Es sind bemerkenswerte Worte, die da aus dem Munde eines ehemaligen SPD-Bundesinnenministers kommen. Otto Schily, einst Gründungsmitglied der Grünen und später einer der profiliertesten Innenpolitiker der Sozialdemokraten, bricht mit einem Tabu, das die deutsche Politik seit Jahren lähmt: Er fordert das Ende der sogenannten Brandmauer gegen die Alternative für Deutschland.
Ein politisches Urgestein spricht Klartext
In einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt bezeichnete der 92-Jährige es als schlichtweg „Unsinn", dass CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann AfD-Chefin Alice Weidel als rechtsextrem bezeichnet habe. Eine Aussage, die in der aufgeheizten politischen Debatte wie ein Donnerschlag wirkt. Schily mahnt: Es müsse möglich sein, Missstände im Land zu benennen – etwa den aggressiven Islamismus –, ohne gleich in die rechtsextreme Ecke gestellt zu werden.
Doch der erfahrene Politiker geht noch weiter. Er warnt eindringlich davor, die AfD in eine Art politische Quarantäne zu stellen. „Ich halte es für falsch, der AfD den Dialog generell zu verweigern", so Schily unmissverständlich. Eine Position, die man von einem Mann seines politischen Hintergrunds nicht unbedingt erwartet hätte – oder vielleicht gerade deshalb?
Die wahren Ursachen des AfD-Aufstiegs
Mit bemerkenswerter Klarheit benennt Schily die Wurzeln des Problems. Angela Merkels zwei große Fehler seien die verfehlte Migrationspolitik und die desaströse Energiepolitik gewesen. Beides habe die AfD erst groß gemacht. Die ungebremste Aufnahme von Migranten ohne klare Steuerung – das sei der eigentliche Fehler gewesen, nicht etwa die Kritik daran.
Besonders bemerkenswert ist Schilys Analyse der gesellschaftlichen Dynamik: Wenn man Weihnachtsfeste plötzlich als rassistisch oder kolonialistisch diffamiere, während gleichzeitig große Moscheen gebaut würden und vieles andere als selbstverständlich akzeptiert werde, dann treibe man die Menschen geradezu in die Arme der AfD. Eine Beobachtung, die viele Bürger unterschreiben würden, die sich in ihrer eigenen Heimat zunehmend fremd fühlen.
Kritik an der Empfindlichkeit der politischen Klasse
Schily nimmt auch die zunehmende Dünnhäutigkeit seiner Politikerkollegen aufs Korn. Es sei „unmöglich", dass der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck Strafanzeige gegen einen Rentner gestellt habe, nur weil dieser ihn als „Schwachkopf" bezeichnet hatte. „Damit muss man als Politiker leben. Man muss so etwas einfach niedriger hängen", so der frühere Innenminister mit der ihm eigenen Nüchternheit.
Die heutige Mode, dass Politiker ständig Strafanzeigen stellten, sei bedenklich. „Wenn mir jemand ‚Idiot' hinterherruft – soll er doch", gibt sich Schily gelassen. Eine Haltung, die man sich von so manchem Berufspolitiker der jüngeren Generation wünschen würde, der bei der kleinsten Kritik gleich den Staatsanwalt bemüht.
Erinnerungen an die Anfänge der Grünen
Schily erinnert im Interview an die Anfangszeit der Grünen, als auch diese Partei von vielen Etablierten gemieden wurde. Sowohl bei den Grünen als auch bei den etablierten Parteien habe es Menschen gegeben, die nicht miteinander reden wollten. Er und Joschka Fischer hätten versucht, das zu durchbrechen, und seien bewusst auf Leute wie Franz Josef Strauß zugegangen.
Ein historischer Vergleich, der nachdenklich stimmt. Denn was damals für die Grünen galt, sollte heute auch für andere demokratisch gewählte Parteien gelten. Auf kommunaler Ebene gebe es längst Kontakte zur AfD, räumt Schily ein. Die Realität hat die ideologische Brandmauer also längst unterlaufen.
Späte Einsicht oder politisches Kalkül?
Man mag sich fragen, warum solche Worte erst jetzt kommen, wo Schily längst aus dem aktiven politischen Geschäft ausgeschieden ist. Ist es die Altersweisheit, die den Blick schärft? Oder die Freiheit dessen, der nichts mehr zu verlieren hat? Fest steht: Solange Politiker in Amt und Würden sind, wagen sie solche Aussagen selten. Zu groß ist die Angst vor dem Shitstorm, zu mächtig der Konformitätsdruck innerhalb der Parteien.
Dass ausgerechnet ein ehemaliger RAF-Anwalt, Grünen-Mitgründer und SPD-Innenminister nun für einen sachlichen Dialog mit der AfD plädiert, hat durchaus eine gewisse Ironie. Es zeigt aber auch, dass politische Vernunft keine Frage der Parteizugehörigkeit sein muss – sondern eine Frage des Charakters und der Lebenserfahrung.
Ein Signal an die schweigende Mehrheit
Schilys Äußerungen dürften vielen Bürgern aus der Seele sprechen, die sich seit Jahren fragen, warum eine demokratisch gewählte Partei mit Millionen von Wählern behandelt wird wie ein politischer Aussätziger. Die Brandmauer-Strategie hat die AfD nicht geschwächt – im Gegenteil. Sie hat sie gestärkt und radikalisiert, was die etablierten Parteien dann wiederum als Rechtfertigung für weitere Ausgrenzung nutzen. Ein Teufelskreis, den zu durchbrechen offenbar nur noch politische Pensionäre wagen.
Die Frage bleibt: Werden die aktiven Politiker auf Schilys Worte hören? Oder werden sie weiterhin eine Strategie verfolgen, die nachweislich gescheitert ist? Die Antwort darauf wird maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland zu einem sachlichen politischen Diskurs zurückfindet – oder weiter in Lagerdenken und Ausgrenzung verharrt.

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