
Merz' Wehrpflicht-Vorstoß: Union bremst Pistorius aus und fordert härtere Gangart
Die große Koalition zeigt erste Risse in der Verteidigungspolitik. Während Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sein Wehrdienstgesetz gemächlich durch die parlamentarischen Mühlen schleifen lassen wollte, hat die Unionsfraktion nun die Notbremse gezogen. Die für Donnerstag geplante erste Lesung des „Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes" wurde kurzerhand von der Tagesordnung gestrichen – ein deutliches Signal aus dem Lager von Bundeskanzler Friedrich Merz.
Halbgare Lösungen in Zeiten wachsender Bedrohung?
Aus Unionskreisen verlautete, der Gesetzentwurf gehe „angesichts der aktuellen Bedrohungslage noch nicht weit genug". Man wolle keine „halbgaren Lösungen" bei der Wehrpflicht. Diese Wortwahl ist bemerkenswert, zeigt sie doch, wie sehr sich die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland verschärft hat. Merz selbst hatte kürzlich erklärt: „Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden" – eine Aussage, die offenbar als Startschuss für eine härtere Gangart in der Verteidigungspolitik verstanden wurde.
Die SPD reagiert erwartungsgemäß verschnupft auf diesen Affront. Eine Fraktionssprecherin betonte, man halte am bisherigen Zeitplan fest. Auch das Verteidigungsministerium drängt auf Eile: „Die Zeit läuft", heißt es aus dem Bendlerblock. Schließlich solle der neue Wehrdienst bereits zum 1. Januar starten. Doch genau hier liegt der Hund begraben: Während Pistorius auf Zeit spielt und einen weichgespülten Kompromiss präsentiert, fordert die Union Nägel mit Köpfen.
Ein zahnloser Tiger namens „Modernisierungsgesetz"
Was Pistorius als großen Wurf verkaufen wollte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als zahnloser Tiger. Das Kabinett hatte den Entwurf bereits am 27. August durchgewunken – alle Minister stimmten zu, auch die der Union. Doch was wurde da eigentlich beschlossen? Ein Wehrdienst light, der zunächst auf Freiwilligkeit setzt. Junge Männer sollen einen Fragebogen ausfüllen, verpflichtende Musterungen sind erst ab Juli 2027 vorgesehen. Eine tatsächliche Einberufung wäre nur bei fehlendem Zulauf und mit Zustimmung des Bundestags möglich.
Man fragt sich unwillkürlich: Ist das die Antwort auf eine sich verschärfende Sicherheitslage? Während in der Ukraine weiter gekämpft wird und die geopolitischen Spannungen zunehmen, bastelt Deutschland an einem Wehrdienst, der mehr an einen Freiwilligendienst mit Hintertür erinnert als an eine ernsthafte Stärkung der Verteidigungsfähigkeit.
Die Union will mehr – aber was genau?
Die Unionsfraktion fordert eine sofortige Rückkehr zur Wehrpflicht. Das klingt martialisch und entschlossen, wirft aber Fragen auf. Ist die Bundeswehr überhaupt in der Lage, plötzlich wieder Zehntausende Wehrpflichtige aufzunehmen? Die Kasernen sind vielerorts in desolatem Zustand, die Ausrüstung mangelhaft, und es fehlt an Ausbildern. Von der gesellschaftlichen Akzeptanz ganz zu schweigen – in einem Land, in dem Patriotismus als suspekt gilt und die Bundeswehr jahrzehntelang kleingespart wurde.
Dennoch hat die Union einen Punkt: Pistorius' Entwurf wirkt wie ein fauler Kompromiss, der niemandem wehtut, aber auch niemandem hilft. In Zeiten, in denen die Welt unsicherer wird und Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit stärken muss, braucht es klare Entscheidungen. Die Frage ist nur, ob eine überstürzte Rückkehr zur Wehrpflicht die richtige Antwort ist.
Ein Blick in die Geschichte lehrt Vorsicht
Die Wehrpflicht wurde 2011 unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt – übrigens mit breiter Zustimmung der Union. Damals galt sie als Relikt des Kalten Krieges, unzeitgemäß und ineffizient. Nun, keine anderthalb Jahrzehnte später, soll sie plötzlich die Lösung aller Probleme sein? Diese Kehrtwende wirkt wenig durchdacht und mehr von tagespolitischen Erwägungen getrieben als von einer langfristigen Strategie.
Zudem stellt sich die Frage der Gerechtigkeit. Sollen wieder nur junge Männer zum Dienst verpflichtet werden, während Frauen außen vor bleiben? Und was ist mit denjenigen, die sich dem Dienst entziehen können – sei es durch Verweigerung, Studium oder geschickte Ausnutzung von Schlupflöchern? Eine moderne Wehrpflicht müsste diese Fragen beantworten, doch davon ist in der aktuellen Debatte wenig zu hören.
Die wahren Probleme bleiben ungelöst
Während Union und SPD sich über Zeitpläne und Gesetzestexte streiten, bleiben die eigentlichen Probleme der Bundeswehr ungelöst. Es fehlt an moderner Ausrüstung, die Beschaffungsprozesse sind träge und ineffizient, und die Truppe leidet unter Nachwuchsmangel. Eine Wehrpflicht allein wird diese strukturellen Defizite nicht beheben. Im Gegenteil: Sie könnte die Probleme sogar verschärfen, wenn plötzlich Tausende unmotivierte junge Menschen in marode Kasernen gesteckt werden.
Was Deutschland braucht, ist eine ehrliche Debatte über seine Sicherheitspolitik. Welche Bedrohungen sind real, welche werden künstlich aufgebauscht? Welche Rolle soll die Bundeswehr spielen – Landesverteidigung oder weltweite Einsätze? Und vor allem: Wie kann eine moderne, schlagkräftige Armee aufgebaut werden, die sowohl technologisch als auch personell für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet ist?
Stattdessen erleben wir ein unwürdiges Schauspiel parteipolitischer Profilierung. Die Union will sich als harte Sicherheitspolitiker präsentieren, die SPD als besonnene Reformer. Beide vergessen dabei, dass es um mehr geht als um Schlagzeilen und Umfragewerte. Es geht um die Sicherheit Deutschlands und die Zukunft junger Menschen, die möglicherweise zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden sollen.
Ein Fazit, das nachdenklich stimmt
Die Blockade des Wehrdienstgesetzes durch die Union mag taktisch klug sein, strategisch ist sie fragwürdig. Deutschland braucht keine überstürzte Rückkehr zur Wehrpflicht, sondern eine durchdachte Reform seiner Verteidigungspolitik. Dazu gehört auch die Frage, ob und in welcher Form ein Wehrdienst sinnvoll ist. Pistorius' Entwurf mag unzureichend sein, aber die Alternative der Union – eine sofortige Wehrpflicht ohne Wenn und Aber – ist es ebenso.
In einer Zeit, in der Deutschland vor enormen Herausforderungen steht – von der Energiewende über die Migration bis zur wirtschaftlichen Stagnation –, sollten die politischen Kräfte zusammenarbeiten statt sich gegenseitig zu blockieren. Die Sicherheit des Landes ist zu wichtig, um sie zum Spielball parteipolitischer Interessen zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass sich beide Seiten besinnen und eine Lösung finden, die der Ernsthaftigkeit der Lage gerecht wird.

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