
Serbiens Pulverfass: Wenn 140.000 Bürger genug haben
Die Bilder aus Belgrad erinnern an historische Wendepunkte: Zehntausende schwenken serbische Nationalflaggen, skandieren Parolen gegen die Regierung und fordern nichts weniger als einen politischen Neuanfang. Was als Trauerbekundung für 16 Todesopfer begann, hat sich zu einer Bewegung entwickelt, die das Fundament der serbischen Regierung erschüttert. Doch während Präsident Aleksandar Vucic von ausländischen Drahtziehern fabuliert, zeigt sich einmal mehr: Wenn Bürger genug haben von Korruption und Vetternwirtschaft, lassen sie sich nicht mehr mit billigen Ausreden abspeisen.
Der Funke, der das Pulverfass entzündete
Es war der 1. November 2024, als in Novi Sad eine Tragödie ihren Lauf nahm. Das Dach des Bahnhofs stürzte ein, 16 Menschen starben unter den Trümmern. Was zunächst wie ein tragischer Unfall aussah, entpuppte sich schnell als Symptom eines viel größeren Problems: jahrelange Korruption, Pfusch am Bau und eine Regierung, die wegschaute, solange die richtigen Taschen gefüllt wurden. Die serbischen Bürger erkannten: Hier starben Menschen nicht durch höhere Gewalt, sondern durch systematisches Staatsversagen.
Seitdem brodelt es im Land. Studenten besetzen Universitäten, Bürger gehen auf die Straße. Ein halbes Jahr lang versuchte die Regierung, die Proteste auszusitzen. Doch die Bewegung wuchs, wurde lauter, fordernder. Aus der Forderung nach Aufklärung wurde der Ruf nach Neuwahlen – ein Ultimatum, das Vucic arrogant vom Tisch wischte.
Wenn aus friedlichem Protest Gewalt wird
Am 28. Juni 2025 eskalierte die Situation. Die Organisatoren sprechen von 140.000 Demonstranten, manche Schätzungen gehen sogar von 300.000 aus. Die Polizei hingegen zählte lächerliche 36.000 – ein Zahlenspiel, das die Realitätsverweigerung der Regierung offenbart. Als das Ultimatum um 21 Uhr verstrich, ohne dass Vucic auch nur einen Millimeter nachgab, kippte die Stimmung.
Tränengas gegen Steine, Blendgranaten gegen Rauchbomben – die Bilder aus Belgrad zeigen ein Land am Scheideweg. Sechs verletzte Polizisten, dutzende Festnahmen, eine aufgeheizte Atmosphäre. Und mittendrin ein Präsident, der allen Ernstes behauptet, ausländische Mächte würden sein Volk aufhetzen. Als ob es ausländischer Einmischung bedürfte, um gegen Korruption und Misswirtschaft aufzubegehren!
Die Arroganz der Macht
Besonders perfide: Während die Studenten und Bürger für ihre Zukunft kämpften, mobilisierte Vucic seine eigenen Anhänger zu einer Gegenkundgebung. Ein durchschaubares Manöver, um die Protestbewegung zu diskreditieren und möglicherweise sogar gewaltsame Zusammenstöße zu provozieren. Der Präsident warnte sogar selbst vor Gewalt – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung?
"Die ausländischen Mächte haben durch lokale Handlanger ein Ultimatum gestellt", behauptete Vucic. Eine Aussage, die zeigt, wie weit sich die politische Elite von der Realität entfernt hat.
Die Wahrheit ist simpler und gleichzeitig bedrohlicher für die Machthaber: Die serbischen Bürger haben genug. Genug von Korruption, genug von Vetternwirtschaft, genug von einer Regierung, die ihre Interessen über Menschenleben stellt.
Ein Blick über die Grenzen
Was in Serbien passiert, sollte auch uns in Deutschland eine Warnung sein. Auch hier erleben wir eine zunehmende Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten. Auch hier werden berechtigte Sorgen der Bürger als "rechts" oder "populistisch" abgetan. Auch hier wird Kritik an der Regierungspolitik reflexhaft als ausländische Einmischung diskreditiert.
Die neue Große Koalition unter Friedrich Merz mag stabiler erscheinen als die gescheiterte Ampel, doch die Grundprobleme bleiben: Eine Politik, die am Volk vorbeiregiert, astronomische Schulden für ideologische Projekte und eine zunehmende Kriminalität, die man nicht beim Namen nennen darf. Das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur klingt nach Zukunftsinvestition, ist aber nichts anderes als eine gigantische Schuldenlast für kommende Generationen – trotz Merz' Versprechen, keine neuen Schulden zu machen.
Die Lehre aus Belgrad
Die serbischen Proteste zeigen: Irgendwann reicht es den Bürgern. Wenn 16 Menschen sterben müssen, weil Sicherheitsstandards der Korruption geopfert wurden, wenn Studenten monatelang ihre Bildung opfern müssen, um gehört zu werden, wenn friedliche Proteste mit Tränengas beantwortet werden – dann ist der Punkt erreicht, an dem sich etwas ändern muss.
Die Protestorganisatoren haben es treffend formuliert: Die Regierung hatte "alle Zeit, um die Forderungen zu erfüllen und eine Eskalation zu verhindern. Stattdessen haben sie Gewalt und Unterdrückung gewählt." Diese Worte könnten in vielen europäischen Hauptstädten gesprochen werden, wo die politische Elite lieber ihre Pfründe verteidigt, als auf die berechtigten Sorgen der Bürger einzugehen.
Ob Vucic nachgeben wird? Unwahrscheinlich. Doch die Geschichte lehrt uns: Wenn hunderttausende Bürger auf die Straße gehen, wenn Studenten monatelang durchhalten, wenn der Druck nicht nachlässt – dann können auch die arrogantesten Machthaber ins Wanken geraten. Die serbische Jugend hat verstanden, was viele in Westeuropa noch lernen müssen: Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie muss erkämpft und verteidigt werden, notfalls auf der Straße.
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